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Kriegsdrama im Klitten
Datum: Sonntag 04 September 2005 12:00:00
Thema: Vorupør


Ein Buch Namens "Danmark Rundt" von 1953 mit dem verheißungsvollen Titel "Krigsdrama i Thy" ließ uns aufmerksam werden auf einen Teil der Geschichte des bekannten Hotels Klitten.



Ein Artikel, den Stefan recherchiert hat - und zwar in Zusammenhang mit einem Fundstück auf irgendeinem Dachboden! Das Klitten ist heute ein Appartmenthaus. Was bei der Recherche nach den Hintergründen raus kam, ist höchst spannend und gibt uns sicher viel Spielraum für die wildesten Spekulationen: Wer zum Teufel war Günther Reimere? Hier die Übersetzung des Artikels:

Kriegsdrama in Thy - Wer war Günther Reimere? 
 
(Frank Weber) Während des 2. Weltkrieges war Thy ein militärischer Brennpunkt. Verschiedene Nachrichtendienste hatten unabhängig von einander Agenten in dieser Gegend. Wer war "Günther Reimere", der im Mai 1942 von einem Kriminalbeamten aus Thisted verhaftet wurde...?

In den Häusern in Vorupør ging man so langsam daran, das Abendessen zu bereiten. Es war Krieg in der Welt und die Deutschen hatten die Dänen schon 2 Jahre lang "beschützt". Im "Badehotellet - Afholdshotellet" (Badehotel - Alkoholfreies Hotel) hing ein Kalender, der den 2. Mai 1942 anzeigte. Die Uhr hatte gerade 5x geschlagen, als ein Fremder, ca. 30 Jahre alt, durch die Tür trat. Der Hotelbesitzer Anton Flensted Nielsen empfing ihn an der Rezeption. Der Mann sagte einige Worte auf deutsch und der Hotelbesitzer musste seine 14jährige Tochter zu Hilfe holen. Sie übersetzte nach bestem Bemühen die paar deutschen Brocken, die sie verstand. Verschiedentlich ging der Mann in englisch über, um sich auf diese Weise dem Mädchen verständlich zu machen.
Er wünschte im Hotel zu übernachten, aber vorher wollte er gerne etwas zu essen bestellen. Sein ganzes Auftreten war höflich und gebildet. Er bekam deshalb ohne Weiteres ein Zimmer in der 1. Etage zugewiesen, und etwas später stand das Essen auf dem Tisch. Der Mann aß und trank dazu ein paar helle Bier. (Anm. von Muddern: Ich hab ja schon immer gewusst, dass dänisches Bier kein Alkohol ist!)

Aber es gab ein Problem. Der Fremde erzählte, dass er keine Legitimation habe, aber dass er ohne Schwierigkeiten alles bezahlen könne. Aber der Hotelbesitzer ließ ihn sofort wissen, dass er ihn ohne Legitimation nicht übernachten lassen könne. Trotz der beharrlichen Übersetzungsversuche der Tochter verstand der Fremde anscheinend nicht, was gesagt wurde. Er blieb ruhig sitzen. Flensted Nielsen wagte aufgrund des fehlenden Ausweises nicht, den Mann bei sich wohnen zu lassen, ohne die Polizei zu unterrichten. Zum Glück wirkte der Fremde ruhig und gefasst und nicht wie jemand, der mit den Behörden Konflikte hatte.

Es waren nun ein paar Stunden seit der Ankunft des Fremden vergangen und irgendetwas musste geschehen. Der Lagerverwalter des örtlichen Konsumvereins tauchte auf und die beiden versuchten weiter, sich verständlich zu machen. Die beiden Dänen hatten immer mehr den Eindruck, dass der Fremde ein Engländer ist. Er wurde gebeten, seinen Namen aufzuschreiben und er schrieb den englischen Namen  "Beaverbrook" (ein alters englisches Adelsgeschlecht) auf. Man war nun überzeugt, dass der Mann ein englischer Geheimagent war. Die Situation schien nun längst nicht mehr so bedrohlich, wie die Dänen geglaubt hatten.
Flensted Nielsen bat seine Frau, den Dorfpolizisten Grønkjær (Anm. der Red.: Daher "Grønkjærvej"?) zu informieren, der kurz darauf der Kriminalpolizei in Thisted den Sachverhalt erklärte. Dass der Mann eventuell Engländer war, konnte in Thy möglicherweise schlimme Konsequenzen haben. Es wimmelte überall von deutschen Truppen, die in Stützpunkten entlang der Westküste stationiert waren.

Kriminalassistent Sørensen, ein Polizeibevollmächtigter und der Dorfpolizist machten sich deshalb sofort auf den Weg zum Badehotel. Dort fragten sie den Fremden auf deutsch, woher er komme und baten ihn, sich auszuweisen. Fließend deutsch antwortete der sehr entgegenkommend und ruhig, dass er ein Zimmer in Thisted am Hafen habe und sein Ausweis läge in diesem Zimmer. Nach seinem Namen gefragt, antwortete er "Beaverbrook".
Der Polizeibevollmächtigte bat ihn darauf, mit nach Thisted zu kommen, um seine Identität zu bekräftigen. Der Mann willigte sofort ein, bezahlte Essen und Getränke und verabschiedete sich mit Handschlag vom Hotelbesitzer. Auf dem Weg zum Ausgang wollte er - wie er sagte - sich noch ein Buch aus dem Zimmer holen. Die drei Polizisten blieben unten an der Treppe stehen, der Fremde ging in das Zimmer und ein paar Sekunden später war ein lauter Pistolenschuss zu hören. Als die Polizisten in das Zimmer stürmten, lag der Mann rücklings auf dem Boden, Blut floss aus seiner Schläfe und die Pistole lag rauchend in seiner rechten Hand.

Der Mann war tödlich verletzt und Dr. Brandt aus Hundborg (Recherchen ergaben, dass dies der Dr. Brandt sein muss, der noch vielen Touristen der heutige Zeit ein Begriff ist: Der einzige Arzt der Umgebung, den man aufsuchen konnte, wenn man im Urlaub ein gesundheitliches Problem hatte; d. Red.) wurde sofort gerufen und der Mann danach mit der Ambulanz ins Krankenhaus nach Thisted gebracht, wo er kurz darauf verstarb. Am nächsten Tag wurde er in die Leichenkapelle gebracht.

Da die Identität ja immer noch nicht feststand, informierten die dänischen Behörden die deutsche Militärbehörde in Aarhus. Ein deutscher Leutnant stellte mit einem Blick auf die Leiche fest, dass es sich um einen Mann handelte, der bis dahin als Oberleutnant "Günther Reimere" und als Leutnant "Wolf Weitner" in der Wehrmacht gedient hatte. Der Mann, der bis auf weiteres 2 Identitäten hatte, hatte sein Militärquartier am 24. April verlassen und wurde deshalb von der Sicherheitspolizei gesucht. Mehr Erklärungen wurden nicht gegeben.
 
Am 8. Mai erhielt die dänische Behörde in Thisted die Genehmigung, den Toten zu beerdigen, was dann auf dem Vestre Kirkegaard geschah. Ohne Kreuz und ohne Namen. Im Kirchenbuch wurde nur folgendes notiert: Unbekannte männliche Person - nicht aufgeklärt - die Wehrmacht.
Einige aufmerksame und mitfühlende Thisteder Bürger pflanzten in Eigeniniative eine kleine Buchsbaumhecke um das Grab des Unbekannten.
1967 kam eine deutsche Grabkommission nach Thisted, um kleine Namensschilder an den deutschen Gräbern im Vestre Kirkegaard anzubringen. Es waren im Ganzen 53 Gräber, davon 13 Soldatengräber und die anderen Gräber von Flüchtlingen. Ein Schild mit Aufschrift: "Günther Reimere" und in Klammern darunter "Wolf Weitner" wurde ebenfalls am Grab mit der Buchsbaumhecke angebracht, nach dem es zunächst einem anderen Grab zugeordnet worden war. Einige Monate später wurden die meisten deutschen Toten auf einen großen deutschen Friedhof in Grove umgebettet, so auch "Günther Reimere". (Grove liegt zwischen Silkeborg und Viborg und beheimatet einen Friedhof, auf dem sage und schreibe 2.500 deutsche Soldaten und Flüchtlinge beerdigt sind; d. Red.)
 
Zusammenfassung der durch Weber angestellten Recherchen zu diesem Fall:

Die Identität des Fremden aus dem Badehotel (Klitten) ist nach dem Bericht von Frank Weber immer noch ungewiss. Verschiedene Recherchen haben zu keiner endgültigen Klärung geführt. Es wurden mehrere Vermutungen angestellt.

1.) Günther Reimere war ein deutscher Deserteur einer Küstenfliegergruppe, die in Aalborg stationiert war.

2.) Er war ein polnischer Agent, der Verbindung zur polnischen Exilregierung in London hatte. Ein "Günther Reimere" war in Schwedt/Oder-Neisse geboren.

3.) Er war der Sohn des englischen Zeitungsbarons und Versorgungsministers Lord Beaverbrook. Dieser Lord führte - bevor er in den Adelsstand erhoben wurde - den Familiennamen Aitken. Er hatte 2 Söhne, John und Peter. Aber der Werdegang von Peter war - im Gegensatz zu dem von John - kaum recherchierbar. Es wurde lediglich ein Foto von ihm als 13jähriger gefunden und eine Erklärung, dass er 1947 während einer Vergnügungsfahrt in schwedischen Gewässern gestorben ist. Dies wurde jedoch von schwedischen Behörden nicht bestätigt.
Lord Beaverbrook war seinerzeit sehr in die Arbeit der Nachrichtendienste involviert und einige seiner Journalisten arbeiteten als Agenten.
 
Der Autor Frank Weber ist bis jetzt der Meinung, dass "Günther Reimere" in Wirklichkeit Peter Rudyard Aitken war (sein Patenonkel war der britische Schriftsteller Rudyard Kipling). Die Tatsache, dass er sich in Vorupør Beaverbrook genannt hatte, sollte möglicherweise ein Hinweis auf seine Familie sein, damit diese nach seinem Tode erfahren konnte, was mit ihm geschehen ist. Vielleicht gibt die weitere Nachforschung eines Tages die korrekte Antwort.

Quelle: Thisted Museum / Historisches Jahrbuch für Thy und Vester Hanherred, 1992
Übersetzung: Muddern
Dank an Stefan für die Initialzündung zu diesem Artikel!







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